Wir sind uns wieder einig
18:11 Samstag, 2. Oktober 2010
Die Geschichte zum Bild aus der Farbwerte Ausstellung
im Oktober 2009 in Berlin
im Oktober 2009 in Berlin
Foto by Frank Rösner & Robert Eysoldt
http://www.farbwerte.com
Vor einem Jahr entstand im Rahmen der Farbwerte Ausstellung die Robert Eysoldt im März 2009 ins Leben rief dieses Foto an der Eastside Gallery in Berlin. Heute feiert Deutschland 20 Jahre Wiedervereinigung, so wie ein Jahr zuvor 20 Jahre Mauerfall.
Vor einem Jahr entstand im Rahmen der Farbwerte Ausstellung die Robert Eysoldt im März 2009 ins Leben rief dieses Foto an der Eastside Gallery in Berlin. Heute feiert Deutschland 20 Jahre Wiedervereinigung, so wie ein Jahr zuvor 20 Jahre Mauerfall.
20 Jahre...und erst jetzt...langsam und behutsam stellt sich für mich das Gefühl ein, dass Deutschland tatsächlich wieder eins ist. Die Jungen kennen es nicht anders, die Alten von damals, von denen viele die Zeigefinger erhoben und ja ach so verrufen und angeblich typisch deutsch erstmal schimpften und motzten. Hüben wie drüben. Die Leben zum Teil nicht mehr. Und die Dazwischengeneration derer ich angehöre, ist froh dass die gegenseitigen Vorurteile sich endlich ins Nirwana verabschieden.
Gut, zumindest empfinde ich es so.
Jedenfalls möchte ich aus diesem Anlass heraus hier nochmal einen Abriss meiner Geschichte und damit die meiner Familie erzählen. Den Abriss den ich schon vor einem Jahr, inspiriert durch die Fabwerte Ausstellung aufschrieb. Den Text habe ich nochmal überarbeitet. Die Bilder im Blog sind dem Internet entnommen um alles etwas besser zu veranschaulichen. Und ich möchte gerne jedem nochmal die Farbwerte Ausstellung ans Herz legen. Neben meinem Bild findet ihr auf der Farbwerte Webseite noch unzählige wunderbare Exponate von vielerlei Menschen weltweit, die Position beziehen zum Thema "SchwarzRotGold".
(nur am Rande: "Nirwana ist ein Abschluss, kein Neubeginn in einer anderen Sphäre. Es ist ein Wechsel des Zustands, nach dem alle Vorstellungen und Wunschgebilde gleichsam überwunden und gestillt sind." Quelle: Wikipedia)
Eine von vielen
Dresden im 2.Weltkrieg |
Mein Name ist Maidline.
Eigentlich Maidline-Daniela - in der DDR beschränkte man sich auf Daniela, da Maidline nicht anerkannt wurde und eigentlich beginnt meine Geschichte 1932 mit der Geburt meines Vaters in Dresden, dessen Vater im Krieg durch einen Bombenangriff ums Leben kam. Über seine Mutter, meine Oma weiß ich bis heute nichts. Er redete so gut wie nie über seine Vergangenheit. Um selber in den Wirren der Nachkriegzeit überleben zu können machte mein Vater als junger Mann eine Ausbildung zum Bäcker. Jahre später holte er sein Abitur nach und studierte. In etwa dieser Zeit stellte er seinen Ausreiseantrag, da er gegen das Regime war. Er wurde dadurch seither von der Stasi überwacht.
Mein Vater war ein Mann, der bis knapp 2 Jahre vor seinem Tod verheimlichte, dass er Geschwister hat. Also wuchs ich in dem Glauben auf, mein Vater sei ein Einzelkind und so erfuhr ich, dass seine Schwester, meine Tante, als junge Frau in eine Psychiatrie eingewiesen wurde, nachdem sie angeblich bei einem Fluchtversuch verhaftet worden war, erst als ich selbst eine junge Frau war. Auslöser war der Tod einer der Brüder meines Vaters, so dass er wegen einer testamentarischen Angelegenheit ausfindig gemacht wurde. Das was mit seiner Schwester damals geschehen ist erfuhr mein Vater erst dadurch. Die genauen Umstände sind bis heute ungeklärt. Ich habe dabei allerdings nur einen Gedanken - Zwangspsychiatrisierung. Allein meines Vaters Geschichte ist so komplex, vieles liegt noch im Dunkeln verborgen, es würde diesen Rahmen hier sprengen weiter in die Tiefe zu gehen aber ich wollte es zumindest gerne anreißen, da es für mich dazugehört wo alles tatsächlich begonnen hat.
Meine Mutter lernte meinen Vater kennen, da war sie 18 Jahre alt und wollte von Zuhause weg. Er nahm die 26 Jahre jüngere Frau bei sich auf. Im Oktober 1978 kam ich in Eisenach zur Welt. Mein Vater heiratete ein Jahr später meine Mutter.
Mein Bruder kam 5 Jahre später zur Welt. Zu der Zeit wurde ich von einem vermeintlichem Onkel im Kindergarten "abgeholt", er nahm mich an die Hand und fragte mich Dinge die ich heute nicht mehr weiß, er brachte mich in die Nähe der Wohnung meiner Eltern und ging.
Es war die Stasi die mich an die Hand genommen hatte.
Mein Bruder kam 5 Jahre später zur Welt. Zu der Zeit wurde ich von einem vermeintlichem Onkel im Kindergarten "abgeholt", er nahm mich an die Hand und fragte mich Dinge die ich heute nicht mehr weiß, er brachte mich in die Nähe der Wohnung meiner Eltern und ging.
Es war die Stasi die mich an die Hand genommen hatte.
Später in der Schule wurde ich gesondert behandelt, da mein Vater mir verbot am Pionier Appell teilzunehmen. Als Kind verstand ich es nicht, das "Warum". Was war den nur falsch mit den hübschen blauen und roten Tüchern und am zusammen singen? Warum musste ich immer alleine draußen warten? Warum spielte kaum einer mit mir später im Schulhof?
Im zweitem Schuljahr hatte ich mich daran gewöhnt, mein Vater mir erklärt, dass in diesem Land in dem ich geboren bin etwas nicht stimmt und es nicht gut ist ein Pionier zu sein. Also wollte ich auch irgendwann kein Pionier mehr sein und fand meine Schulkameraden alle plötzlich ganz schön merkwürdig, wie sie da so rum standen und etwas machten was wohl nicht gut ist, und das, ohne es zu wissen.
Im zweitem Schuljahr hatte ich mich daran gewöhnt, mein Vater mir erklärt, dass in diesem Land in dem ich geboren bin etwas nicht stimmt und es nicht gut ist ein Pionier zu sein. Also wollte ich auch irgendwann kein Pionier mehr sein und fand meine Schulkameraden alle plötzlich ganz schön merkwürdig, wie sie da so rum standen und etwas machten was wohl nicht gut ist, und das, ohne es zu wissen.
Irgendwann zu dieser Zeit. Ich liege im Bett und fange plötzlich an zu schreien, werde hysterisch und verkrieche mich darunter. Die jüngere Elisa, Tochter einer Freundin meiner Mutter, schlief neben mir im Bett meiner Eltern, fängt erschrocken an zu weinen. Ich sah einen „Roten Stern“ am Nachthimmel. In der Schule sagten sie wenn ein roter Stern am Himmel ist bedeutet das Krieg. Die Beschwerden die meine Eltern gegen die Lehrerin einleiteten verliefen im Sand.
Der Stern war ein Flugzeug.
1988, ich war 9 Jahre alt klingelte sie wieder, die Stasi. Der Ausreiseantrag war genehmigt worden. Innerhalb von 24 Stunden mussten meine Eltern das Notwendigste in ein paar Koffer packen, sich von den wenigen Freunden und Bekannten verab- schieden.
Sie schrieben eine Liste wer was aus der komplett einge- richteten Wohnung bekommen sollte.
Aus der Familie meiner Mutter wurde , soweit ich weiss, nur die ältere Schwester informiert, aus Angst die Ausreise könnte durch ihre Familie verhindert werden. Meiner einzigen Puppe wurde der Kopf abgemacht und das Ersparte von meinem Vater darin versteckt. Wir wurden am nächsten Tag zum Bahnhof gebracht und mir wurde die Puppe in die Hände gedrückt als wir in unserm Abteil ankamen. Heute erinnere ich mich noch wie sehr ich die Angst meiner Mutter spürte, die Anspannung meines Vaters, die Unsicherheit meines kleinen Bruders, aber ich selber empfand es als unglaublich aufregend und spannend zu „verreisen“.
Registrierung im Aufnahmelager Gießen (Archivfoto vom 08.08.1989). Foto: dp |
Wir durchliefen das ganze Prozedere das alle DDR Flüchtlinge durchliefen. Am Nikolaustag fanden wir, die Kinder im Lager, in unseren Schuhen jeder einen Nikolaus aus Schokolade, eine Apfelsine, einen Apfel und Walnüsse.
Weihnachten durften wir in unserer ersten eigenen Wohnung feiern.
Wir wurden nach Germersheim in Rheinland-Pfalz verteilt, dort gab es eine Arbeit für meinen Vater und somit auch eine Sozialwohnung für uns. Unsere ersten Möbel bekamen wir gebraucht, eingekleidet wurden wir von der Diakonie, was auch in den folgenden Jahren großteils so blieb. Ich erinnere mich noch genau als wir das erste Mal einen Supermarkt ganz in der Nähe der Wohnung besuchten. Allein am Eingang war ich schon so überwältigt und als wir raus kamen völlig fertig über so viele tolle Sachen und soviel zu Essen auf einem Haufen, es gab so viele Dinge die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte.
Wenig später kam ich auf die Grundschule in Germersheim und alles war wieder beim Alten.
Ich musste zwar vor keiner Tür warten weil Appell war, aber in den Pausen war ich auch wieder allein. Man trat mir auf den Füßen rum, weil ich billige Plastiksandalen trug und schimpfte mich "Ossi".
Den Fall der Mauer erlebte ich ca. 1 Jahr nach unserer Ausreise vor dem Fernseher.
Ich musste zwar vor keiner Tür warten weil Appell war, aber in den Pausen war ich auch wieder allein. Man trat mir auf den Füßen rum, weil ich billige Plastiksandalen trug und schimpfte mich "Ossi".
Den Fall der Mauer erlebte ich ca. 1 Jahr nach unserer Ausreise vor dem Fernseher.
Mit roten Bäckchen saß ich auf dem Teppichboden direkt vor dem Apparat und fühlte, dass da etwas ganz großartiges passiert. Diese Bilder werde ich nie vergessen. Auch nicht die aufgeregten, fassunglosen Gesichter meiner Eltern.
Kurz darauf wollte meine Mutter Ihre Familie wiedersehen.
So fuhren wir mit dem ersten Gebrauchtwagen den mein Vater sich leistete auch das erste Mal wieder nach Eisenach. An der Grenzkontrolle wurde meine Mutter fast hysterisch, weil sie die Angst ergriff, man könnte uns wieder einsperren. Ich besuchte meine ehemalige Schule und wurde als Wessi beschimpft.
Das erste und letzte Mal in meinem Leben.
Verwundert war ich nicht. Die Außenseiterrolle hatte ich ja schon hier wie dort, nur hieß es im Westen eben Ossi, Ossi, Ossi. Ossi...
Das Wort verhallte erst so langsam nach meinem 20 Geburtstag, 10 Jahre nachdem wir die DDR verließen.
So fuhren wir mit dem ersten Gebrauchtwagen den mein Vater sich leistete auch das erste Mal wieder nach Eisenach. An der Grenzkontrolle wurde meine Mutter fast hysterisch, weil sie die Angst ergriff, man könnte uns wieder einsperren. Ich besuchte meine ehemalige Schule und wurde als Wessi beschimpft.
Das erste und letzte Mal in meinem Leben.
Verwundert war ich nicht. Die Außenseiterrolle hatte ich ja schon hier wie dort, nur hieß es im Westen eben Ossi, Ossi, Ossi. Ossi...
Das Wort verhallte erst so langsam nach meinem 20 Geburtstag, 10 Jahre nachdem wir die DDR verließen.
Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, bleibt unter anderem die Erinnerung an eine Zeit, in der ich mich wie eine Ausländerin im eigenen Land gefühlt habe.
Meine frühere Zerrissenheit durch meine Herkunft ist heute nicht mehr da.
Während ich aufwuchs musste Deutschland erstmal wieder zusammenwachsen. Der Wundbrand der sich durchs Land zog, die seelische Mauer abgebaut werden damit eine behutsame Heilung beginnen konnte. In beiden Teilen veränderte sich viel in all den Jahren.
Zunächst erwartete man zu viel in zu kurzer Zeit. Es war eine harte, aber wie ich finde, auch eine sehr gute und wichtige Zeit. Wir durften uns neu kennenlernen. Alte Vorurteile versiegten langsam und stetig mit den Jahren und der nachfolgenden Generation. Wir begannen unsere Geschichte zusammen weiter zu schreiben als ein Land. Und mittlerweile hab ich es wieder lieb, dieses Land und seine Menschen.
Auch wenn ich früher oft einfach nur weg wollte, getrieben von dem Gedanken woanders ist es besser, dann auch woanders war.
Ich habe an Vielem in unserem Land gezweifelt. Vor allem an den Menschen, und auch an mir... aber ich bin immer wieder zurückgekommen. Vieles mag ich nicht, vieles stört mich nach wie vor, aber vieles mag ich nicht und stört mich auch woanders. Also versuche ich mitzuhelfen, das was mich stört zu verändern. Im Kleinen, im Größeren, je nachdem... so wie es mir eben nur irgendwie möglich ist. Es muss z.B. schon lange nicht mehr sein, dass Menschen auf der Strasse leben, dass Kinder (auch in unserem Land) zu wenig zu Essen haben. Das alles und noch soviel mehr... das ist nicht gut so... aber ein jeder kann etwas dagegen tun.
Jeder Einzelne kann etwas ver - ändern und das ist GUT SO!
Nachtrag:
Vor ein paar Tagen, am 30.September habe ich mit einem unglaublich tollen Menschen telefoniert.
Wir hatten uns viel zu erzählen.
Ein Tage nachdem mein Vater 78 Jahre alt geworden wäre, habe ich das erste Mal einen Menschen aus der Familie meines Vaters kennengelernt. Gefunden tatsächlich über Facebook, ich fragte erst ganz vorsichtig an. Wir schrieben ein wenig von uns und dann wussten wir nur noch: Wir müssen telefonieren. Eigentlich hätte ich es nicht mehr für möglich gehalten jemals Angehörige aus meines Vaters und damit auch meiner Familie zu finden.
Mein Großcousin ist in meinem Alter, da mein Vater eine Generation übersprungen hatte. Der Vater meines Großcousin ist mein Cousin, dessen Oma, meine Tante.
Meine Tante, die damals zwangseingewiesen wurde, weil sie flüchten wollte. Sie lebt.
Es ist noch nicht lang her, da wurde sie von der Psychiatrie in ein Wohnheim "entlassen", mit einer Puppe im Arm die Ihr "Kind" ist. Mein Cousin verbrachte daraufhin seine Kindheit aus für Ihn ungeklärten Gründen im Kinderheim. Auch er redet so gut wie nicht über seine Geschichte. Bis heute weiss keiner was wirklich damals passierte.
Aber wenn ich alles nochmal durchgehe. Und jetzt weiss, dass meine Tante damals noch bevor die Mauer stand in Hamburg war, man vermutet, dass sie dort schwanger wurde und Jahre später vermutlich mit Ihren Kindern flüchten wollte. Dann ein Riss. Eines der Kinder, mein Cousin, kam ins Heim. Das andere, meine Cousine, zunächst zu Ihrer Oma, meiner Oma, weil die Mutter, meine Tante in eine Psychiatrie eingewiesen wurde und bis vor kurzem mit "Ihrem Kind" im Arm, der Puppe, dort "lebte"... dann weiß ich eigentlich schon genug...
Wieviele Menschen die damals flüchten wollten wurden verhaftet, wenn sie sich nicht gefügig zeigten weggesperrt und mit Psychopharmaka ruhig gestellt... wieviele Menschenleben und ganze Familien wurden so zerstört... Unzählige.
Der erste Satz von meinem Großcousin am Telefon war ... "Das ist irgendwie ein historischer Moment" und der letzte Satz "Wir machen es einfach besser als unsere Väter die soviel verschwiegen bzw verschweigen" (auch wenn ich denke das sie für sich persönlich sicher Ihre Gründe haben und hatten... irgendwie)... doch ja das werden und machen wir... es besser...
Der erste Schritt wird sein, dass wir versuchen die Stasi Akten meiner Tante und die meines Vaters zu bekommen. Wir werden meine Tante besuchen... ich muss ihr noch sagen wie sehr mein Vater sie vermisste... ich werde Ihr nicht sagen wie es meinen Vater gebrochen hat als er es mit knapp über 70 Jahren erfahren hatte. Ich werde Ihr nicht sagen wie hasserfüllt er da saß und nur noch in einer Endlosschleife "Diese Dreckschweine" gemurmelt hat...ich werde Ihr sagen er wollte sie besuchen, sie wiedersehen... Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen aber vielleicht schaffen wir es zumindest die Geschichte meiner Tante aufzuklären.
Gerechtigkeit suchen und finden? Vielleicht zu einem Teil, insofern das überhaupt noch möglich ist, der weitaus wichtigere und größere Teil... ist das Verstehen... und zu wissen wir haben da draussen noch jemanden, Familie, durch die DDR auseinandergerissen, 20 Jahre nach der Wiedervereinigung wieder vereint.
Wie sich das anfühlt? Verdammt gut!